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 Soziale Ungleichheit in Deutschland

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Sophie666

Sophie666


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BeitragThema: Soziale Ungleichheit in Deutschland   Soziale Ungleichheit in Deutschland Icon_minitimeSo Jun 19, 2016 4:51 pm

Hallo Ihrs Wink

Interessant, wo drauf man so alles im Internet stösst wenn man etwas recherchiert :

Wirtschaft Ökonomen-Streit :

"40 Prozent der Deutschen besitzen faktisch nichts"

Deutschland ist eines der ungleichsten Länder der Welt – mit dieser These polarisiert DIW-Chef Marcel Fratzscher. Der "Wohlstand für alle" sei am Ende. Ifo-Präsident Clemens Fuest sieht das anders.

In Deutschland herrscht eine hohe Chancenungleichheit, findet der Ökonom Marcel Fratzscher.

Die Welt: Herr Fuest, Herr Fratzscher schreibt in seinem Buch, unsere soziale Marktwirtschaft existiert nicht mehr, aus Ludwig Erhards Losung "Wohlstand für alle" sei ein "Wohlstand für wenige" geworden. Unterschreiben Sie das so?
Fuest: Ich halte das für irreführend. Und ich sehe die Gefahr, dass solche Thesen nur in eine ideologische Debatte münden, die sich gegen das markwirtschaftliche System als Ganzes richtet. Wir sollten das deutsche Modell der sozialen Marktwirtschaft nicht schlechtreden. Es ist nicht tot, es lebt. Es bewährt sich in einer Welt, in der die Globalisierung große Herausforderungen mit sich bringt.
Die Welt: Herr Fratzscher, gefährden Sie mit Ihren Thesen das System?
Fratzscher: Sicher nicht. Aber wir sollten die Tatsachen nicht leugnen, nur weil sie unbequem sind und zu einer unangenehmen Diskussion führen könnten. Dass Ludwig Erhards Credo der sozialen Marktwirtschaft heute nicht mehr existiert, ist Realität. Dies zeigt sich in einer hohen Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen und vor allem in einer hohen Chancenungleichheit und fehlendem Wettbewerb. Ich halte das für eine der größten Herausforderungen, vor der wir als Gesellschaft heute stehen.
Die Welt: Was meinen Sie mit fehlendem Wettbewerb?

Marcel Fratzscher leitet seit 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und ist Professor für Makroökonomie an der Berliner Humboldt-Universität

Fratzscher: Immer mehr Menschen können sich nicht in den marktwirtschaftlichen Prozess einbringen, weil ihnen vom ersten Lebensjahr an die Möglichkeit genommen wird, ihre Talente zu nutzen, einen ordentlichen Bildungs- und Berufsabschluss und berufliche Chancen zu erhalten. Immer mehr können nicht mehr mit ihrer eigenen Hände Arbeit ein auskömmliches Leben führen. Immer mehr Menschen hängen vom Staat ab. In Ostdeutschland beziehen die unteren 40 Prozent die Hälfte oder mehr ihres Einkommens aus staatlichen Leistungen.
Fuest: Man sollte mit dem Gesamtbild beginnen. Weltweit haben Ungleichheit und Armut in den letzten drei Jahrzehnten abgenommen, eine Folge der Einbindung der Schwellenländer in die globale Wirtschaft. Richtig ist: Die Mittelschicht in den Industrieländern ist durch den Aufstieg der Schwellenländer unter Druck geraten. Das erklärt einen Teil des Auseinanderdriftens der Bruttoeinkommen zwischen Hoch- und Geringqualifizierten in Deutschland. Der deutsche Sozialstaat hält aber dagegen, Deutschland gehört zu den vier OECD-Ländern, in denen am meisten umverteilt wird. Außerdem steigt die Ungleichheit der Bruttoeinkommen seit 2005 nicht mehr. In den USA oder Großbritannien ist die Ungleichheit deutlich höher.
Fratzscher: Ich muss in zwei Punkten entschieden widersprechen. Erstens: Studien zeigen, dass nicht die Globalisierung entscheidend für steigende Ungleichheit ist, sondern Bildung und der Zugang zu Bildung. Und da schneidet Deutschland zunehmend schlechter ab. Zweitens: In keinem anderen Land der Euro-Zone besitzen die oberen zehn Prozent so viel und fast 40 Prozent der Bevölkerung so wenig, nämlich nichts. Am gravierendsten aber ist die geringe Chancengleichheit. Die Möglichkeit für Menschen aus sozial schwachen Gruppen aufzusteigen ist in wenigen Industrieländern so gering wie hierzulande.

Die Welt: Ist es wirklich so schlimm, Herr Fuest?
Fuest: Chancengleichheit lässt sich nur schwer messen. Studien zeigen, dass Deutschland hier im Mittelfeld liegt, besser ist als Frankreich, Italien und Großbritannien. Das deutsche Bildungssystem bietet über die duale Berufsausbildung und den zweiten Bildungsweg vielfältige Bildungschancen für breite Schichten. Die geringe Jugendarbeitslosigkeit zeigt, dass Deutschland nicht so schlecht dasteht. Richtig ist, dass der Bildungshintergrund der Eltern eine große Rolle spielt.
Fratzscher: Wir sollten es uns nicht so leicht machen, die Schuld für die steigende Zahl der jungen Menschen ohne Schulabschluss oder Berufsabschluss nur bei den Eltern zu suchen. Ein großer Teil der Verantwortung liegt in unserem Bildungssystem und der Tatsache, dass in Deutschland heute deutlich zu wenig in Bildung investiert wird. 70 Prozent der Akademikerkinder gehen zur Universität, aber nur 20 Prozent der Kinder von Nicht-Akademikern. Das Einkommen von Kindern hängt nur in den USA ähnlich stark vom Bildungsgrad der Eltern ab wie in Deutschland. Nur jeder Vierte schafft es, einen besseren Bildungsabschluss zu erreichen als seine Eltern, nur Tschechien ist hier schlechter.
Die Welt: Waren also alle Anstrengungen, die Chancengleichheit zu erhöhen, umsonst?
Fratzscher: Es hat sich eine Menge getan, aber immer noch zu wenig. Es gibt zu wenige Betreuungsplätze, zu wenige Ganztagsschulen, und dies wird sich durch die Flüchtlingskrise noch einmal verschärfen. Untersuchungen zeigen, dass sich jeder Euro für Bildung umso mehr rentiert, je früher er getätigt wird.
Fuest: Dass es Reformbedarf im Bildungssystem gibt, ist unbestritten und seit langem bekannt. Wir bieten eine Uni-Ausbildung zum Nulltarif, verlangen aber Kindergartengebühren. Wir müssten es umgekehrt machen und mehr in den Vorschulbereich investieren.
Die Welt: Herr Fuest, neben mangelnder Chancengleichheit moniert Herr Fratzscher auch eine auseinandergehende Einkommensschere. Hat er Recht ?

Clemens Fuest war zwischen 2013 und 2016 Chef des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Seit 1. April ist der Finanzwissenschaftler Chef des Münchener ifo-Instituts und damit Nachfolger von Hans-Werner Sinn

Fuest: Am Ende kommt es auf die verfügbaren Einkommen an, und da liegt Deutschland innerhalb der OECD ebenfalls im Mittelfeld. Ähnlich Unspektakuläres gilt für die angeblich hohe Vermögensungleichheit. Vermögensungleichheit lässt sich schwer messen. Einige Statistiken zeigen für Deutschland steigende, andere fallende Vermögensungleichheit. Wenn man Vermögensungleichheit untersucht, muss man Renten- und Pensionsansprüche berücksichtigen. Die sind in Deutschland höher als in anderen OECD-Ländern. Thomas Piketty ist in seinem berühmten Buch über Ungleichheit auf Deutschland kaum eingegangen, weil er es für ein Land mit hohem sozialen Ausgleich hält. All das sagt: Deutschland ist bei der Ungleichheit ein vergleichsweise unproblematisches Land.
Fratzscher: Auch in diesem Punkt widerspreche ich entschieden. Deutschland hat die höchste Ungleichheit bei privaten Vermögen der gesamten Euro-Zone. Auch die Einbeziehung der Rentenansprüche ändert nichts daran. Das Problem ist nicht, dass die reichsten zehn Prozent zwei Drittel des gesamten Vermögens besitzen, sondern dass 40 Prozent der Deutschen faktisch nichts besitzen. Und nein, es kommt nicht nur auf die verfügbaren Einkommen an. Denn keine noch so hohe Hartz-IV-Leistung kann die fehlende Chancengleichheit, von den ersten Lebensjahren an bis ins Berufsleben, kompensieren. Keine staatliche Transferleistung kann die fehlende Möglichkeit, sein eigenes Leben zu bestimmen, ersetzen.
Die Welt: Hat Herr Fratzscher recht, wenn er schreibt, den unteren 40 Prozent wird die Chance genommen, ihr wirtschaftliches Schicksal selbst zu bestimmen?
Fuest: Das halte ich für übertrieben. Selbstverständlich spielt eigene Initiative für die individuelle wirtschaftliche Lage eine zentrale Rolle, und natürlich gibt es in Deutschland breiten Zugang zu Bildung und Aufstiegschancen. Sicher sind nicht alle Programme zur Förderung der Vermögensbildung effektiv auf die unteren Einkommensschichten ausgerichtet. Hinzu kommt, dass das Mieten in Deutschland relativ komfortabel ist, weshalb wenig Wohneigentum aufgebaut wird.

Die Welt: Herr Fratzscher schreibt auch, die unteren 40 Prozent könnten sich vermehrt Alltagsdinge nicht mehr leisten, Armut greife um sich. Stimmen Sie hier zu?
Fuest: Die Frage hängt stark davon ab, wie man Armut definiert. Jedermann hat in Deutschland ein Recht auf Sozialleistungen, die Grundbedürfnisse wie Wohnung, Nahrung und medizinische Versorgung abdecken. Existenzgefährdende Armut wird dadurch ausgeschlossen. Von relativer Armut spricht man in Deutschland, wenn ein Paar mit zwei Kindern 4000 Euro im Monat verdient. So definiert gibt es Armut, aber die ist eben weniger dramatisch. Von einer allgemein um sich greifenden Armut in Deutschland zu sprechen, halte ich nicht für angemessen.
Fratzscher: Die Armutsquote ist in den vergangenen 15 Jahren von zehn auf fast 15 Prozent gestiegen. Noch deutlich mehr junge und alte Menschen sind von Armut betroffen. Das heißt nicht, dass diese Menschen kein Dach über dem Kopf haben, aber es nimmt vielen die Chance der sozialen und politischen Teilhabe. Vielen Eltern fehlt das Geld, ihre Kinder in Sportvereine, zum Musikunterricht oder auf Klassenfahrten zu schicken. Sie leben ungesünder, sind weniger glücklich, ihre Lebenserwartung ist kürzer. Und damit verfestigt sich die Ungleichheit und wird über die Generationen größer, und immer häufiger gilt: Arm bleibt arm und reich bleibt reich.
Fuest: Es ist schon klar, dass es besser ist, wenn man seinen Kindern Musikstunden bezahlen kann, aber nicht jeder, der das nicht kann oder will, ist arm. Die Armutsquote nach OECD-Definition lag in Deutschland 2013 bei 8,4 Prozent, deutlich unter dem OECD-Durchschnitt von 11,2 Prozent. Finnland war mit 7,1 Prozent etwas besser, Schweden mit 9 Prozent schlechter als Deutschland, und in den USA lag die Armutsquote bei 17,6 Prozent. Deutschland ist also wieder eher unauffällig, auch wenn einige skandinavische Länder noch niedrigere Armutsquoten aufweisen.
Fratzscher: Wollen wir uns wirklich die USA oder gar Griechenland oder Russland als Vorbild für Chancengleichheit und eine starke soziale Marktwirtschaft nehmen? Wir sollten uns an unserem eigenen Anspruch Ludwigs Erhards messen lassen: "Wohlstand für alle." Und diesem Anspruch werden wir heute nicht mehr gerecht.

Die Welt: Spielen nicht auch gesellschaftliche Entwicklungen eine große Rolle für Ungleichheit, etwa die steigende Zahl Alleinerziehender?

Fuest[: Ungleichheit hat auch mit sozioökonomischen Veränderungen zu tun. Es gibt immer mehr Single-Haushalte und ein verändertes Heiratsverhalten, der Arzt heiratet nicht mehr die Krankenschwester, sondern die Ärztin. Auch der zunehmende Anteil von Rentnern mit geringen Einkommen spielt eine Rolle, genauso, welche Einkommensschichten wie viele Kinder bekommen. Auch aus diesen Gründen muss man Veränderungen der gemessenen Ungleichheit sorgfältig interpretieren.
Fratzscher: Doch auch hier zeigt sich die fehlende Chancengleichheit in Deutschland. Alleinerziehende sind häufig Frauen, die deutlich geringere Löhne erhalten als Männer. Das Bildungssystem stellt gerade Alleinerziehenden riesige Hürden in den Weg, beispielsweise durch fehlende Ganztagsschulen und Betreuung. Und der Staat hilft zwar den Gutverdiener-Familien, in denen der eine Ehepartner nicht arbeitet, mit einer Steuerentlastung durch das Ehegattensplitting – nicht aber alleinerziehenden Eltern. Auch so öffnet sich die Schere immer weiter.
Fuest: Das Ehegattensplitting hat mit Ungleichheit zwischen Arm und Reich wenig zu tun. Es bedeutet lediglich, dass das Steuersystem neutral ist gegenüber der Frage, wer in der Ehe wie viel Einkommen erzielt. Das ist keine Subventionierung von Reichen. Die Alternative wäre, dem nicht arbeitenden Ehepartner Anspruch auf Sozialhilfe zu geben. Das wäre sehr teuer. Das Ehegattensplitting als wesentliche Ursache für Ungleichheit in Deutschland zu bezeichnen ist abwegig.
Die Welt: Die Ungleichheit ist besonders stark zwischen 2000 und 2005 gestiegen und seitdem nur leicht zurückgegangen. Hätte das Arbeitsmarktwunder sie stärker reduzieren müssen?
Fratzscher: Die Halbierung der Arbeitslosigkeit ist ein wichtiger Erfolg, aber nur ein erster Schritt. Viele Menschen können nur in Teilzeit arbeiten, die Löhne der unteren 50 Prozent sind real seit Anfang des Jahrtausends konstant oder sogar gesunken. Und es ist kein Erfolg, wenn es nach dem historischen Höhepunkt der Ungleichheit im Jahr 2005 danach nur nicht noch schlimmer geworden ist.

Fuest: Unbestritten ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ein Erfolg. Der Satz: "Sozial ist, was Arbeit schafft", ist sicher richtig. Denn wer arbeitslos ist, wird schneller krank, ist unglücklicher und stirbt früher. Man kann aber von den Hartz-Reformen nicht erwarten, dass dadurch die Vermögensungleichheit sinkt. Und ich würde es schon als einen Erfolg ansehen, dass trotz Globalisierung und technischen Fortschritts, die bei uns Lohnungleichheit verstärken, der Anteil der unteren 25 Prozent an den verfügbaren Einkommen heute ungefähr so hoch ist wie vor 20 Jahren. Ein dramatischer Anstieg der Ungleichheit sieht anders aus.
Die Welt: Nach Thomas Piketty sorgt nun auch Herr Fratzscher mit seinem Buch für viel Aufsehen. War für die Mainstream-Ökonomie das Thema Ungleichheit zu lange ein blinder Fleck, Herr Fuest?
Fuest: Sicher hat das Buch von Piketty das Thema in die breite Öffentlichkeit getragen. Aber Ungleichheit war immer ein wichtiger Aspekt der ökonomischen Debatte. Weil die Politik viel über Umverteilung redet, fällt Ökonomen aber oft die Rolle zu, davor zu warnen, dass schlechte Umverteilungspolitiken zu Verlusten bei Wachstum und Beschäftigung führen. Insofern mag da der falsche Eindruck entstehen, Ökonomen kümmerten sich nicht um Verteilungsfragen.
Fratzscher: Wir deutschen Wirtschaftswissenschaftler sollten nicht die Augen vor dem Thema verschließen. Viele Nobelpreisgewinner und renommierte Ökonomen wie Piketty, Joseph Stiglitz oder Anthony Atkinson haben gezeigt, dass Ungleichheit in vielen Industrieländern ein Maß erreicht hat, das für die Wirtschaft schädlich ist.
Die Welt: Kommt die Debatte nicht eigentlich zehn Jahre zu spät, wenn die Ungleichheit vor allem bis 2005 gestiegen ist?

Fuest: Ich weiß nicht, was Sie vor 15 Jahren gemacht haben, aber bei den Hartz-Reformen wurden Ungleichheitsfragen stark diskutiert. Aber ich möchte noch kurz auf Herrn Fratzscher eingehen: Ungleichheit ist nicht allgemein wachstumsschädigend. Das konnte bislang niemand beweisen.
Die Welt: Herr Fratzscher bezieht sich in seinem Buch auf eine OECD-Studie, nach der das Wachstum in Deutschland wegen der hohen Ungleichheit sechs Prozentpunkte geringer ausgefallen ist. Sie haben die Studie kritisiert. Warum glauben Sie, ist die Studie falsch?
Fuest: Da gibt's nichts zu glauben, das ist eine Frage von Statistik. Da werden Korrelationen kausal interpretiert und Hocheinkommensländer in einen Topf mit einem Schwellenland wie Mexiko geworfen. Am schlimmsten finde ich aber, dass die OECD aus ihrer Studie auch noch Schlussfolgerungen für einzelne Länder zieht in der Art, die deutsche Wirtschaftsleistung wäre sechs Prozent höher, wenn die Ungleichheit nicht gestiegen wäre. Das würde man in keiner Bachelorarbeit durchgehen lassen.
Fratzscher: Der Ansatz der OECD ist sinnvoll. Ungleichheit ist per se nicht schlecht für die Wirtschaft. Ein gewisses Maß an Ungleichheit ist wichtig, um Erfolg zu honorieren und Anreize zu setzen. Aber in der OECD-Studie geht es ja nicht um die Höhe der Ungleichheit, sondern um deren Veränderung in den vergangenen drei Jahrzehnten. Und die OECD steht mit ihrem Befund ja nicht allein da, der Internationale Währungsfonds oder der renommierte US-Ökonom Robert Gordon kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Resultate zeigen, dass die Ungleichheit in vielen Industrieländern mittlerweile zu hoch ist und einen unzureichenden Zugang zu Bildung, fehlenden Wettbewerb und ein unzureichendes Funktionieren der Marktwirtschaft reflektiert.

Fuest: Es gibt keinerlei Evidenz, dass eine zu hohe Ungleichheit das Wachstum in Deutschland geschädigt hat. So pauschal über Ungleichheit zu reden ergibt überhaupt keinen Sinn. Man muss sich einzelne Maßnahmen anschauen und zwischen Ländern mit hohen und niedrigen Einkommen unterscheiden. Ein besserer Bildungszugang kann sicherlich Ungleichheit senken und das Wachstum steigern. Eine Vermögensteuer senkt die Ungleichheit, führt aber zu weniger Wachstum. Die Studie der OECD ist schlicht irreführend und verstößt gegen Grundsätze unseres Handwerks. Das hat auch der Sachverständigenrat klar nachgewiesen.
Fratzscher: Genau das ist das Problem: Ein schlechterer Bildungszugang erhöht die Ungleichheit und senkt das Wachstum. Der Sachverständigenrat hat lediglich auf Grundlage der OECD-Studie gezeigt, dass andere Berechnungen zu kleineren, aber auch zu größeren Zusammenhängen zwischen Ungleichheit und Wachstum kommen können.

Fuest: Das stimmt so nicht. Der Sachverständigenrat hat für eine große Zahl an Ländern in über 900 Schätzungen gezeigt, dass es den von der OECD behaupteten negativen Zusammenhang zwischen Ungleichheit und Wachstum nicht gibt, schon gar nicht in den Industriestaaten mit hohen Pro-Kopf-Einkommen.
Die Welt: Herr Fratzscher, müssen Sie sich den Vorwurf gefallen lassen, selektiv Studien für Ihr Buch rausgepickt zu haben, die Ihre These stützen?
Fratzscher: Es gibt kaum eine Arbeit zur Ungleichheit in Deutschland, die so viele unterschiedliche wissenschaftliche Studien und Belege zusammenführt, wie mein Buch dies tut. Was mich stört ist, dass manche leugnen wollen, Ungleichheit sei ein Problem für unsere Gesellschaft und Wirtschaft. Wir müssen unsere Scheuklappen ablegen nach dem Motto: Wir sehen nicht, was wir nicht sehen wollen. Denn die steigende Ungleichheit und der Verteilungskampf in unserem Land sind nichts, worauf wir stolz sein können. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass wir uns diesem Thema endlich öffnen und einen ernsthaften Dialog führen.
Fuest: Ich glaube, das Thema Ungleichheit ist so vielfältig, dass man sich kaum dem Vorwurf entziehen kann, bestimmte Indikatoren nicht gezeigt zu haben. Und wenn man ein Buch schreibt, erzählt man auch immer eine Geschichte. Herr Fratzscher hat die Entwicklung der Ungleichheit betont. Dass die Bruttoeinkommen in Deutschland bis 2005 auseinandergelaufen sind, bestreitet auch niemand. Der Streit dreht sich eher um die Frage, wie man das bewertet. Ich sage, Ungleichheit ist nicht das zentrale Problem in Deutschland, weil der Sozialstaat vieles abfedert. Herr Fratzscher sagt, Ungleichheit sei vor allem in Deutschland ein Problem, mehr als in anderen Ländern.

Die Welt: In der Öffentlichkeit kreist die Debatte vor allem um die Abkopplung der Superreichen vom Rest der Gesellschaft. Sie sagen aber, Herr Fratzscher, das Kernproblem seien die unteren 40 Prozent?
Fratzscher: Ja, es darf nicht um eine Neiddebatte gehen. Den unteren 40 Prozent ist wenig geholfen, wenn man den oberen zehn Prozent etwas wegnimmt. Wenn die deutschen Familienunternehmer mit ihrem Vermögen gute Arbeitsplätze schaffen, profitieren davon alle.
Die Welt: Sehen Sie das ähnlich, Herr Fuest?
Fuest: Na ja, Ungleichheit am oberen Rand kann man durchaus kritisch sehen. Aber die Reichen sind nun einmal häufig diejenigen, die Unternehmen gründen und Jobs schaffen. Anstatt auf sie zu schimpfen, sollten wir ein attraktives Land für Wohlhabende sein, die hier leben und investieren wollen.
Die Welt: Herr Fratzscher, Sie fordern eine "smartere Umverteilung", um Ungleichheit zu reduzieren. Was genau?
Fratzscher: Die Kernbotschaft meines Buches hat eine starke wirtschaftsliberale und auch ordnungspolitische Grundlage: Die Umverteilung in Deutschland über Steuern und Transfers ist eine der höchsten in der Welt. Der Versuch einer noch stärkeren Umverteilung würde scheitern. Wir brauchen nicht mehr Staat und mehr Steuern, sondern mehr Chancen und mehr Marktwirtschaft und Wettbewerb. Wir benötigen ein grundlegendes Umdenken in unserer Bildungspolitik, mehr Steuergerechtigkeit, eine smartere Familienpolitik und müssen die Vergessenen der Arbeitsmarktreformen mitnehmen.
Fuest: Einigen dieser Punkte kann ich gut zustimmen, viele Politiker verteilen von der rechten in die linke Tasche. Nötig wäre es beispielsweise, die Altersvorsorge neu auszurichten. Wir brauchen eine staatlich verpflichtende Vorsorge, bei der nur Bedürftige Zuschüsse erhalten und weniger die Mittelschicht.
Die Welt: Wenn die Mittelschicht weniger gefördert werden sollte, wäre das Schlimmste was die Politik dann machen kann, eine Subvention für Elektro-Autos einzuführen?
Fratzscher: Ich halte nichts von einer Prämie für Elektroautos. Aber die Politik könnte ja mit guten Bespiel vorangehen und ihre Dienstwagen umrüsten, es gibt tolle E-Autos aus den USA.
Fuest: Subventionen für Elektro-Autos haben wenig mit Ungleichheit zu tun, aber eine flächendeckende Kaufprämie wäre unsinnig. Man sollte die Forschung im Bereich Elektromobilität fördern, das bringt mehr.


Quelle:©️ WeltN24 GmbH 2016
http://www.welt.de/wirtschaft/article154...sch-nichts.html
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